Newsletter 62 – März 2023
Auf der Weltklimakonferenz 2022 präsentierte Helmy ABOULEISH die Lösungsansätze, die in Ägypten und in der Welt zur Eindämmung des Klimawandels beitragen sollen. Wir freuen uns sehr auf seinen Vortrag, den er zu diesem Thema anlässlich unserer Generalversammlung am 22. April 2023 in Graz halten wird.
Hier sind alle Themen dieses Newsletters
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Generalversammlung am 22. April 2023
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Weltklimakonferenz 2022 – Ein Rückblick und Ausblick
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SEKEM-Impuls: Nachfolgeprojekte für die Internationale Klasse
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Das Schwert der Erkenntnis: Ein Essay über Roland FRANKs Weg zu und mit SEKEM
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Sneak-Peak: Abschlussprojekte für die 13 Dörfer
KURZNACHRICHTEN – SHORTCUTS
1. Generalversammlung mit anschließendem Vortrag von Helmy Abouleish am 22. April 2023
Von Andrea CRAMER
Wir freuen uns, Sie am Samstag, den 22. April 2023, ab 16:15 Uhr im Festsaal der Freien Waldorfschule Graz, St.-Peterhauptstraße 182, zur Ordentlichen Generalversammlung 2023 begrüßen zu dürfen. Vorstand und Beirat arbeiten zurzeit mit Hochdruck an der Vorbereitung. Neben den alljährlich abzuwickelnden Punkten stehen heuer Beschlüsse für wichtige Innovationen an, die den Verein neu ausrichten sollen. Eine explizite Einladung wird noch gesondert ergehen.
Vergrößerung des Vorstands
Zurzeit besteht der Vorstand von SEKEM-Österreich aus vier Mitgliedern, die von einem aktiven Beirat unterstützt werden. Die Vorhaben, die wir uns für die nächsten Jahre vorgenommen haben, bedeuten jedoch, dass der Vorstand in Zukunft Verstärkung bei seiner Vereinsarbeit benötigt. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, ein fünftes Vorstandsmitglied zu institutionalisieren. Hierfür ist es nötig, unsere Vereinsstatuten entsprechend anzupassen und sie der Generalversammlung zur Beschlussfassung vorzulegen.
Unser bisheriges Beirats- und Redaktionsteammitglied FH-Prof. Mag. Dr. Harald Friedl wird sich der Wahl stellen. Harald Friedl ist Jurist und Philosoph. Er lehrt seit 2003 an der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg im Studiengang Gesundheitsmanagement im Tourismus bzw. ist dort seit 2004 hauptberuflich Lehrender für angewandte Tourismuswissenschaften.
FH-Prof. Mag. Dr. Harald Friedl
Erweiterung der Betätigungsfelder von SEKEM-Österreich
Wie Sie unserem letzten Newsletter entnehmen konnten, kamen Vorstand und Beirat in der Jahresklausur vom 29. und 30. Oktober 2022 zu dem Ergebnis, dass sich SEKEM-Österreich in den kommenden Jahren vermehrt zur Verbreitung des SEKEM-Impulses im Wege von Projekten hinwenden möchte. „SEKEM-Impuls“ bedeutet für uns eine Form der nachhaltigen Entwicklung, die ein ausbalanciertes Wachstum aus einem ganzheitlichen Blickwinkel zum Ziel hat. Orientierung erhalten wir zu diesem Zweck durch die Nachhaltigkeitsblume, mit der SEKEM in Ägypten seine Visionsziele für 2057 visualisiert hat (siehe https://www.sekem.com/de/vision-auftrag/).
„SEKEM als Lösungsansatz für Klimastress – die Welt darf es wissen“, Vortrag von Helmy ABOULEISH
Mit Spannung und Vorfreude erwarten wir im Anschluss an die Generalversammlung ab 18:00 Uhr den Vortrag von Helmy ABOULEISH zum Thema
„SEKEM als Lösungsansatz für Klimastress – die Welt darf es wissen“
Wie berichtet, fand im November 2022 in Sharm el Sheikh die Weltklimakonferenz unter der Beteiligung von SEKEM statt. Im aktuellen SEKEMs Cop 27 Report 2022s können Sie sich über folgenden Themen informieren:
- Zukunftsforum Wirtschaft
- Was sind Future Economy Forum und seine Vision
- FEF-Partner und Sponsoren
- Von der FEF veranstaltete Veranstaltungen
- SEKEM | HU Side Events COP27
- SEKEM|HU-Partnerschaften vor der COP27
- COP27 SEKEM | HU Side Events Hauptredner
- Nebenveranstaltungen in der blauen und grünen Zone
- Wichtige Ankündigungen während der COP27
Bundespräsident Alexander VAN DER BELLEN und Helmy ABOULEISH
in SEKEMs Residenz bei der Weltklimakonferenz in Sharm el Sheikh
Verwöhnprogramm zum Ausklang der Veranstaltung
Zum Abschluss der Veranstaltung möchten wir Sie wieder zu einem gemütlichen Beisammensein einladen. Die Initiative Cambium aus Fehring wird uns abermals kulinarisch verwöhnen. Cambium verwendet dazu weitgehend Nahrungsmittel aus biologisch- bzw. ökologischem Landbau.
Alle Informationen erhalten unsere Mitglieder und Interessent*innen
auch noch im Wege einer gesonderten Einladung!
3. Sekem-Impuls: Nachfolgeprojekte für die Internationale Klasse Ihre Förderung wirkt!
#Es gibt nichts Gutes, außer man tut es: Gelebte Integration und Völkerverbindung mit der Unterstützung von SEKEM-Österreich
Von Rudi Neuwirt
In jedem Newsletter berichteten wir von den Nachfolgeprojekten für die Internationale Klasse. SEKEM-Österreich übernimmt beispielsweise die Schulkosten für die Brüder Erfan und Rohid HAMIDI, die so ihren Unterricht an der Freien Waldorfschule Karl-Schubert genießen können. Weiters organisieren wir nach wie vor den Deutschunterricht in Wohngruppen für neu angekommenen Migrant*innen
Unser Beiratsmitglied, Rudi Neuwirt, hat uns diesmal folgende berührende Nachricht zukommen lassen.
Hildegard Krug-Riehl ist die österreichische Patin der beiden Brüder Rohid und Erfan Hamidi. Beide besuchen die Waldorfschule Karl Schubert Graz, Rohid ist Schüler in der Oberstufe, das Schulgeld der beiden Brüder wird durch Sekem Österreich (mit)finanziert. Hildegard Krug-Riehl fragte bei mir nach, ob ich mit Rohid Mathematik lernen könnte. Sie teilte mir mit, dass Rohid und Erfan durch die Familienzusammenlegung 2020 nach Österreich kamen und dass beide gerne in die Schule gehen, und ihre Lehrer bescheinigen ihnen, dass sie gute Lernfortschritte machen.
Ich war überrascht, als Rohid zur ersten Mathematikstunde zu mir kam. Er spricht sehr gut Deutsch und seine Heftführung in Mathematik ist ausgezeichnet. Er hat eine saubere exakte Schrift und er schreibt die mathematischen Formeln fast fehlerlos – nach nur zwei Jahren Lernerfahrung in Österreich. Als ich mit ihm den Logarithmus lernen wollte, erzählte er mir, dass er sich die Grundbegriffe schon selbst beigebracht hat. Am meisten überrascht hat mich seine Zielstrebigkeit. Auf meine Frage welche Ausbildung er machen will, sagte er ganz bestimmt: „Ich möchte auf die Universität gehen und Pharmazie studieren und dann nach Afghanistan zurückkehren“.
Ich bedanke mich bei Sekem Österreich für die Finanzierung des Schulgeldes der beiden. Rohid und Erfan sind eine Erfolgsgeschichte für die Integration von jugendlichen Migranten aus Afghanistan
Liebe Grüße, Rudi Neuwirt
IHRE SPENDEN TRAGEN FRÜCHTE! Wir sind überzeugt, dass menschliche Initiativen wie diese einen wertvollen Beitrag zu einem erfüllenden Miteinander der Kulturen in Österreich leisten. Wir können ihre Finanzierung nur durch Ihre Spenden sicherstellen. Bitte helfen Sie uns weiterhin! Ihre Unterstützung kommt förmlich vor unserer eigenen Haustüre an.
Hierfür schon jetzt ein großes DANKE!
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4. Das Schwert der Erkenntnis: Roland FRANKs Weg zu und mit SEKEM
#Aus der Reihe unserer Portraits von Menschen, die SEKEM-Österreich geprägt haben, lesen Sie hier einen Essay, den Harald A. Friedl mit dem engagierten Arzt und SEKEM-Österreich-Beirat der ersten Stunde gestaltet hat.
Von Harald A. Friedl
Ich saß in einem gekühlten Hotelzimmer am Rande einer Provinzhauptstadt von Malaysien, während draußen die tropische Hitze bleiern über dem Land lag, als ich Dr. Roland Frank begegnete: virtuell via Zoom. Die Internetleitung war so schwach, dass wir auf Video verzichten mussten. Für den 71-jährigen, vielgereisten Gynäkologen war dies kein Problem. Aufgrund seiner zahlreichen Einsätze als Arzt in Ghana, Ägypten und in der Ukraine sind schwierige Rahmenbedingungen und permanenter Ressourcenmangel mehr als nur vertraut… Aber der Reihe nach:
Roland Frank ist Mediziner und hatte 35 Jahre als Gynäkologe und Geburtshelfer in Nussdorf bei Wien gearbeitet. Vor allem aber ist er leidenschaftlicher SEKEM-Förderer seit seiner ersten Begegnung mit Ibrahim Abouleish im Juli 1995 im Zuge eines Anthroposophie-Kongresses. Der SEKEM-Gründer hatte dort ein Islam-Seminar gehalten, das Franks Interesse geweckt hatte. Prompt entstand daraus ein intensives Gespräch, das, für eine Stunde angesetzt, ganze vier inspirierende Stunden dauerte. Auf Franks Frage, ob SEKEM noch Mediziner benötigen würde, kam prompt Abouleishs Gegenfrage: „Wann kommen Sie?“
Zwölf Reisen nach Ägypten
Drei Monate später ließ Frank seinen Worten Taten folgen: Gemeinsam mit seiner Frau, einer Kinderärztin, und zwei schulpflichtigen Kindern reiste er für vier Wochen nach SEKEM, um zu praktizieren. Dem folgten bis zum Jahr 2018 elf weitere Aufenthalte. Dabei konnte er am Aufbau der medizinischen Ambulanz mitwirken, die rasch zu einem prosperierenden Segment von SEKEM wurde – mit bis zu 600 Patient:innen pro Tag. Denn die Ambulanz umfasste auch eine Abteilung für Zahn- und Kinderheilkunde, für Chirurgie und Geburtshilfe, sowie eine Apotheke. Der medizinische Alltag wird von hervorragenden ägyptischen Ärztinnen und Ärzten geleistet. Zudem wurden auch Schulungen für Gesundheitskompetenz in den umliegenden Dörfern angeboten. Manche dieser Menschen stammten von jenen Dörfern, die durch den aufgestauten Nil bei Assuan geflutet worden waren.
Während Roland Frank erzählt, prasselt ein Kaleidoskop von Bildern auf mich ein, denn durch seine farbigen Schilderungen werden lang zurückliegende Geschehnisse wieder lebendig. Dabei versucht Frank die Essenz von Ibrahim Abouleishs Initiative herauszukristallisieren: Dieser hatte im Jahr 1976 am östlichen Rand des Nil-Delta bei Bilbeis Grund gekauft, weil dort – inmitten einer wüsten Ebene – sechs Dörfer entstanden waren. Kurz darauf wurde der erste Brunnen geschlagen, dem bis heute 21 weitere folgten: über 100 Meter tiefe Schächte, die erstklassiges Trinkwasser bereitstellen. Das ist teilweise kein Wasser des Nils, sondern eines unterirdischen Stroms, der von Tansania über den Sudan bis nach Libyen und Tunesien fließe. Erst vor etwa zehn Jahren hatten US-amerikanische Forschungsteams dieses Phänomen entdeckt. Dieser Segen war aber in den Anfängen von SEKEM noch unbekannt. Damals wurde mit Kasuarinen experimentiert, australische Pionierbäume, die ihren Feuchtigkeitsbedarf zum Teil über den nächtlichen Tau decken und darum zur Bekämpfung der Wüstenausdehnung besonders geeignet seien.
Was Frank an Abouleish schon damals beeindruckt hatte, war dessen sensibles Eingehen auf kulturelle Rahmenbedingungen und Gewohnheiten – frei nach dem therapeutischen Prinzip: „Man muss den Patienten abholen, wo er steht“. Weil Fellachen gewohnt waren, eine bestimmte Fläche an einem Tag zu bearbeiten, wurden Felder als Quadrate im Ausmaß von 700×700 Meter mit Bäumen angelegt. Dieses Anknüpfen an Bestehendem, anstatt Menschen und Dinge mit der Brechstange verändern zu wollen, machte SEKEM zu einem der spannendsten und wohl auch nachhaltig erfolgreichsten Entwicklungsprojekte von Ägyptern für Ägypter.
Aus der Abhängigkeit von Agrarkonzernen…
Dabei kam Ibrahim Abouleish stets eine Schlüsselposition als treibende und inspirierende Kraft zu, denn er verband ein charismatisches Wesen mit vielen Ecken und Kanten und damit auch mit der nötigen Zielstrebigkeit. Dies befähigte ihn dazu, „weltumspannende Gedankenfolgen“ in den Islam hineinzutragen. So hatte Abouleish etwa das „Igdihat“, eine sufische Lehre aus dem 10. Jhd., gleichsam eine muslimische Ausprägung des benediktinischen Prinzips „ora et labora“ – „Arbeite und bete“, aufgegriffen und mit Hilfe der Anthroposophie zu einem „zeitgemäßen Verwirklichungskleid“ weiterentwickelt. Dahinter stand stets das alles überragende Ziel, die Entwicklung Ägyptens – und vorerst zumindest jene von SEKEM – in eine nachhaltige Zukunft zu begleiten.
Die dabei auftretenden praktischen Schwierigkeiten waren enorm. In den 70er-Jahren dominierte etwa noch die Überzeugung, Baumwolle sei ohne Gift nicht zu kultivieren. Das widerlegte Abouleish u.a. auch mit Hilfe von Hans Werner, einem leider heuer im Alter von 96 Jahren verstorbenen Arzt. Dieser entwickelte drei lokale Baumwollsorten durch Kreuzungen zur heutigen SEKEM-Baumwolle weiter, die keinen Einsatz von klassischen „Pflanzenschutzmitteln“ benötigt und ausschließlich auf Basis der nächtlichen Feuchtigkeit gedeiht. Zudem ist die Faser elastischer als jene der global verbreiteten Baumwolle.
Dieser große Erfolg musste gegen massive Widerstände errungen werden. So wurden diese „verdächtigen Aktivitäten in der Wüste“ Anfangs vom Militär bewacht. Auch kam es zu dramatischen persönlichen Attacken. So wäre Abouleish im Jahr 1999 um ein Haar Opfer eines Mordanschlags geworden, der seinem Fahrer das Leben kostete. Der Grund für diese Widerstände war wohl die Gefährdung von Interessen. Denn herkömmliches Saatgut ist sog. „Terminator Technology“, deren Pflanzen zwar einmalig ertragreiche Ernte hervorbringt, dafür aber für äußere Gefahren hochanfällig ist. Damit entsteht eine dauernde Abhängigkeit der Bauern von Saatgut- und Pestizidlieferungen durch Agrarkonzerne, eine Abhängigkeit, die durch die SEKEM-Initiative plötzlich implizit untergraben wurde.
Ein Geburtenzentrum als Vision
Was dagegen sehr viel leichter entwickelt werden konnte, war das anfangs genannte medizinische Zentrum. Hier kam es rasch zu engen Kooperationen mit den Kliniken in den umliegenden Städten Bilbeis und Zagazig, indem von dort Ärzte tageweise nach SEKEM zum Ordinieren kamen. Eine besonders nachhaltige Initiative war dabei die Ausbildung von Frauen aus den umliegenden Dörfern als Gesundheitsberaterinnen. Daraus entstand unter anderem der Plan eines Geburtenzentrums: Frank hatte das nötige Know-how für komplementäre Geburtshilfe, die das Ziel verfolgt das Wohlbefinden von Mutter und Kind zu maximieren und zudem Sicherheit und Schönheit während der Geburt als wichtiges Anliegen zu fördern. Das vielversprechende Exposee für diese Vision entstand in den Jahren 2012-2016 gemeinsam mit Prof. Dr. Margret Jäger, einer renommierten Medizinanthropologin an der Sigmund-Freud-Universität Wien. Doch die Umsetzung lässt bislang auf sich warten, wohl, wie Frank mutmaßt, weil das Zentrum zu weit außerhalb von Kairo lieg. Zudem steckte damals auch die Heliopolis-Universität erst in ihren Kinderschuhen. Mittlerweile ist Roland Frank bereits 71 Jahre alt und konzentriert darum seine Energie auf die Suche nach Partnern, die von Europa aus dieses Projekt verwirklichen könnten.
Was eine Umsetzung ebenfalls massiv behindert haben dürfte, war der Sturz Mubaraks und der Aufstieg der Muslimbruderschaften in die Regierung unter Präsidenten Mursi. Damals, 2012-13, führten gezielte Indiskretionen der Regierung zu einem Einbruch des SEKEM-Marktes von rund 60%. Zudem verließen die meisten Lehrer SEKEM, weil der Staat höhere Gehälter versprochen hatte, und viele Arbeiter folgten den nationalistischen „Rattenfängern“. Damit war SEKEM in einer extremen Situation. In dieser Not investierte Ibrahim Abouleish sein letztes Geld in Kunst und Kultur, eben „weil er nicht linear dachte, sondern prozessual, zukunftsorientiert…“
Anstatt zu resignieren oder verzweifelt im Hamsterrad zu rennen, hatte Abouleish den Wesenskern seiner Aufgabe hinterfragt und dabei folgende Erkenntnis gewonnen: „Wir müssen den Handschuh umdrehen, die Masse neu kneten – und uns fragen: Was geht, wenn scheinbar nichts mehr geht?“
So hatte es Abouleish geschafft, mit diesen Fragen Menschen aus Ägypten wie aus der ganzen Welt anzusprechen, nach SEKEM zu leiten und zu motivieren, um mit diesen vereinten Kräften die SEKEM-Vision basierend auf prozessualem Gedankengut neu auszurichten. Genau das hatte auch Roland Frank immer zutiefst angesprochen.
Wandel mit Dialog statt mit Brechstange
Der enorme Erfolg von SEKEM sei das eine. Doch Ägypten ist das andere: Das Land ist seit 1960 von 60 auf 100 Mio. Menschen angewachsen. Kairo, dessen Infrastruktur für 2,8 Mio. Menschen konzipiert war, beherbergt heute zirka 28 Mio. Menschen. Gleichzeitig ist SEKEM im ganzen Land als unkonventionelle Initiative bekannt, die – unter Verzicht auf Joint Ventures – für den Erfolg seiner Einwohner arbeitet und eben nicht für den Reichtum von Investor:innen. SEKEM gilt somit als Ausdruck der kreativen Anpassung an gegebene Rahmenbedingungen. Dieser Weg konnte jedoch nur erfolgreich gegangen werden, weil Abouleish konsequent einen spirituellen Kern für SEKEM entwickelt und gepflegt hatte. Auf dieser Grundlage von christlich-anthroposophischen und muslimisch-sufischen Wurzeln trifft sich jeden Tag bei Sonnenaufgang ein Teil des SEKEM-Teams für 45 Minuten im „Mahat“, einem der altägyptischen Göttin der Weisheit gewidmeten Gebäude. Hier wird gemeinsam an Grundfragen zu Gesellschaft, Wirtschaft, Pädagogik und allen damit verbundenen Aspekten geistig und kommunikativ gearbeitet. Es sind Ingenieure und Lehrer genauso beteiligt wie Landarbeiter und Ärzte. „Dabei wird gestritten, geschwiegen, geweint, gelacht…“ – und dadurch die wichtigste Basis von SEKEM gepflegt: die kommunikative Kompetenz sich gemeinsam im Austausch miteinander weiterzuentwickeln…
Ohne diesen gemeinsamen Prozess, der in den Disziplinen der Gesundheits- und Nachhaltigkeitswissenschaften als „Partizipation“ geläufig ist, geht gar nichts. Denn in den Köpfen sind die Strukturen des jahrelangen militärisch-hierarchischen Denkens verankert.
Die wesentliche Erfolgsstrategie von Abouleish bestand darin, eigene Ideen im Gewand vorhandener, traditioneller Denkweisen zu vermitteln. So gelang ihm etwa die Einführung des Waldorf-Lehrplans in der SEKEM-Schule, indem dieser zur Überwindung von religiös motiviertem Widerstand in den traditionellen Kontext gestellt wurde. Auf diese Weise konnten wichtige muslimische Würdenträger und politische Honoratioren für SEKEM gewonnen werden. Sie wurden als Repräsentanten der ägyptischen Gesellschaft in das Amphitheater eingeladen, wo alle Feste des Jahreskreises gefeiert werden, stets eröffnet vom Muezzin. Auch jede Schulveranstaltung beginnt mit dem Lied des Muezzins, denn das waren die zu erreichenden Menschen gewohnt.
Das Schwert der Erkenntnis
Hier verwies Roland Frank auf jene Bibelstelle, in der Jesus klarstellte, er sei nicht gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen, „sondern das Schwert“ (Mt. 10,34). Nach Franks Überzeugung symbolisiere dieses Schwert das Ringen um Erkenntnis. Doch dazu sei es auch unverzichtbar sich aus traditionellen Beziehungen und Strukturen zu emanzipieren, und sei es dafür auch nötig sich auf Konflikte einzulassen. Im Fokus des menschlichen Strebens müsse das Ringen um den eigenen Weg, um die eigenen richtigen Entscheidungen stehen. Genau darum habe Ibrahim Abouleish in seiner schwersten Stunde in Kunst und Kultur investiert, um entgegen aller traditionellen Gewissheit neue, besser gangbare Wege zu finden. Denn Kunst bedeutet Öffnung für heterogene Denkweisen wie auch die Verbindung mit ihnen im Dialog, was das Entstehen von neuen, innovativen Lösungsansätzen begünstige.
Diese partizipative Herangehensweise war eine wesentliche Säule der frühen Erfolge von SEKEM, wofür Ibrahim Abouleish 2003 mit dem sog. „alternativen Nobelpreis“, dem „Right Livelihood Award“, ausgezeichnet wurde, gemeinsam mit dem philippinischen Umweltkämpfer Nicanor Perlas. Auch Mohammed Yunus aus Bangladesch hatte im Rahmen seiner wachstumskritischen, partizipativen Lehre zur Reform der Landwirtschaft die Mikrokredite für kleinstbäuerliche Betriebe entwickelt. Diese Idee führte zur Gründung der Grameen Bank, wofür Yunus 2006 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde. Yunus wiederum war Lehrer von Michael Braungart, dem Erfinder der Cradle-to-Cradle-Kreislaufwirtschaft. All diese Personen verbindet mit Ibrahim Abouleish das Ringen um neue Wege sowie die Überzeugung, dass soziale wie geistige Entwicklungsprozesse niemals linear verlaufen, als vielmehr in Netzwerken und immer wieder auch sprunghaft. In diesem Sinne ist auch Roland Frank durch und durch als „SEKEMianer“ zu verstehen, der von der fruchtbaren „Beweglichkeit des hic et nunc“ (Lat.: „hier und jetzt“) überzeugt ist: Aus der Not heraus seien bestehende Gesamtkonzepte immer wieder kritisch zu reflektieren, kreativ neu zu erfinden und mutig zu erweitern, vorangetrieben durch konsequent kultiviertes Gemeinschaftsbewusstsein.
Bedrohte Lebensader Ägyptens
Während sich Menschen und Gesellschaften entwickeln, fließt träge viel Wasser den Nil hinab. 55 Mrd. Kubikmeter pro Jahr liefert der Nil als Lebensader des Landes, und damit bereits jetzt nur knapp die Hälfte dessen, was die mittlerweile auf über 100 Mio. Menschen angewachsene Bevölkerung des Landes benötigen würde. Durch den Staudamm am Blauen Nil in Äthiopien wird die ohnedies schon knappe Wassermenge zusätzlich massiv reduziert. Einen Ausweg aus dieser Not sieht Frank in der Innovation von Lebens- und Wirtschaftsabläufen, etwa durch einen veränderten Umgang mit dem Nil. Um das Wasser effizienter nutzen zu können, müssten die Felder wieder näher am Nilufer angelegt werden, während die Dörfer ins Hinterland verlegt werden sollten.
Apropos Innovation: Als Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel sieht Frank – auf nur scheinbar paradoxe Weise – die Wiederentdeckung mancher Technologien der alten Ägypter als wichtigen Beitrag zum Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit. So hatte Frank gemeinsam mit Hermann Becke und einer Reisegruppe im Jahr 2017 eine wenig bekannte Pyramide südlich von Luxor besucht. Dort steigt die Innentemperatur auch während der extrem heißen Sommermonate nicht über 23 Grad. Wüsste man, wie man Pyramiden baut, könnte man vielleicht energiearme Kühlsysteme für die Ägypter:innen in einer überhitzten Zukunft errichten…
SEKEM-Reise 2017
In der Mitte: Roland Frank mit seiner Frau Elisabeth hinter Ibrahim Abouleish,
In der zweiten Reihe: als achter von links Hermann Becke
Draußen ist es mittlerweile Nacht geworden, doch immer noch liegt eine lähmende Schwüle über Malaysien, während ich im Hotelzimmer bei eiskalten 18 Grad fröstle, aufgezwungen von einer zentralen Klimaanlage. Mein Kopf ist voll von den spannenden Erzählungen mit den zahlreichen Querverweisen. Und einmal mehr bin ich froh dieser Gemeinschaft der „SEKEMianer“ angehören zu dürfen, einem unendlichen Quell der Inspiration…
Roland Frank und Harald Friedl, dem Autor dieses Essays, nach einem inspirierenden Gespräch
5. Sneak-Peak: Abschlussprojekte für die 13 Dörfer[1]
#Nahe am echten Leben: Eine Studierende aus dem Fach Wirtschaft berichtet hautnah vom praxisorientierten Unterricht an der Heliopolis-Universität Kairo
Von Lea Wagner
Es ist 10 Uhr, meine Kollegen von der Business Fakultät und ich sitzen in einem kleinen Bus und fahren durch die schmalen Straßen der 13 Dörfer neben der SEKEM-Farm in Belbeis. Gelegentlich werden wir aus dem Bus geworfen, um herumzuspazieren, uns von kleinen Kindern führen zu lassen und uns mit ein paar Dorfbewohnern zu unterhalten. Die meisten Häuser sind halb-fertig, Müll liegt wie Konfetti in der Gegend herum, und die wenigen Tiere in der Gegend ernähren sich von Essensresten zwischen Plastiksackerln und anderen Dingen, die man bevorzugt nicht im Fleisch, das man essen wird, wiederfinden möchte.
Trotz der langsam aufkommenden Ramadan-Dekoration wirkt alles ziemlich trostlos, die Gesichter der Leute sind größtenteils ohne jegliche Lebensfreude. Unsere Gruppe wird ganz unverhohlen beobachtet und angestarrt. Das ist unangenehm. Als einzige Europäerin in der Runde bin ich solche Blicke zwar gewöhnt, aber ich habe mich in meinen vier Jahren in Ägypten noch nie so unwohl in meiner Haut gefühlt. Meinen Kollegen geht es – trotz arabischen Ursprunges – ähnlich.
Es ist für jeden von uns klar ersichtlich, dass hier dringend etwas getan werden muss. Aber wie? Warum sind wir hier? Wir sind nur kleine Studenten, was können wir schon tun? Diese Fragen stellte ich mir mehr als einmal, und die Antwort war immer dieselbe: All unsere Abschlussprojekte müssen praxisorientiert und zum Wohle der Menschen in den 13 Dörfern sein. Dementsprechend sind wir alle gemeinsam für drei Tage zur Farm aufgebrochen, um uns mit den Einwohnern zu unterhalten, uns ihre Probleme anzuhören und im Anschluss zu reflektieren, wie wir ihnen helfen könnten. Da viele der Themen zu groß für einfache Studenten wie uns sind (Beispiel: die einzige Apotheke im Dorf hat nur von 8:00-13:00 geöffnet), war das Ganze eine ziemliche Herausforderung. Die Haupthemen waren Medizinische Versorgung, Infrastruktur, Müllentsorgung, (stabile) Einkommensquellen, Verfügbarkeit von Schulen/Ausbildungsmöglichkeiten, und soziale Transformation. Unser Besuch zeigte mehr Schwierigkeiten als Lösungen auf, und wir haben nur bis Ende Mai Zeit, unsere Projekte Realität werden zu lassen. Ob und wie das funktioniert hat, werde ich euch im nächsten Newsletter erzählen.
Session zur Ideenfindung mit Dr.in Aml Gamil (Foto Ahmed Bahrawy)
[1] 2004 hatte der SEKEM-Gründer Ibrahim Abouleish das Projekt zur Entwicklung der Dörfer rund um die SEKEM Farm initiiert. Innerhalb von drei Jahren wurden 13 Dörfer durch gezielte Kampagnen und Aktionen unterstützt. Das Projekt umfasste das Sammeln, Trennen und Recyceln von Abfällen, den Bau von Sanitäreinrichtungen, die Sensibilisierung für Gesundheitsthemen durch medizinische Konvois, Schulungen in biologisch-dynamischer Landwirtschaft und Kompostierung, die Wiederherstellung und Instandhaltung von Gebäuden, Analphabetenunterricht, Stipendien sowie die Inklusion von Kindern mit Behinderungen. SEKEM und die Heliopolis Universität sind durch die Erfolge dieser Aktionen ermutigt, das Projekt mit den Schülern, Lehrern, Professoren und Mitarbeitern erneut aufzunehmen und gezielt fortzuführen. Das 13-Dörfer-Projekt hilft die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist aber auch eine wichtige Chance für die Studierenden, sich gemeinnützig zu engagieren und im Rahmen ihres Studiums konkret den Mensch und der Entwicklung ihres Landes zu dienen.
KURZNACHRICHTEN – SHORTCUTS
Erasmus Jugendbegegnungsprojekt
SEKEM Österreich reichte im Februar 2023 ein Jugendbegegnungsprojekt – Orient-Okzident – im Rahmen des EU-Programmes Erasmus+ Jugend ein. Das Programm ermöglicht jungen Menschen, sich im Ausland – in unserem Fall in Ägypten – zu treffen, in einen interkulturellen Dialog zu treten und sich gemeinsam mit einem aktuellen Thema zu beschäftigen. Unter dem Motto „Greening the desert- together; acting against climate change” werden sich österreichische und ägyptische Jugendliche auf der SEKEM Farm Wahat aktiv mit den Themen Umwelt, Klimawandel, Landwirtschaft und Kultur auseinandersetzen.
Unter Voraussetzung der Projekt Genehmigung wird die Jugendbegegnung vom 27.10. bis 3.11.2023 stattfinden.
Pera-Ensemble zu Gast in der Oase
SEKEM-Österreich arbeitet daran, mit einem Kulturprojekt im Steirischen Vulkanland Begegnungen von Orient und Okzident zu ermöglichen. Zu diesem Zweck war der engagierte Chef des bekannten transkulturellen Münchner Pera-Ensembles, Herr Mehmet Cemal Yeşilçay, am 21. Februar 2023 für ein Vernetzungstreffen zu Gast in Graz. Wir hoffen, hier bald über Neuigkeiten berichten zu können.
DIE WEIBLICHEN STADTHEILIGEN VON CAIRO
Wir freuen uns, dass das angesehene Papyrus Magazin wieder aus dem großartigen Cairo-Buch unseres Mitglieds Leone Strizik zitiert. DIE WEIBLICHEN STADTHEILIGEN VON CAIRO sind unbedingt lesenswert!!
http://papyrus-magazin.de/…/die-weiblichen…/
Eins zu Eins. Der Talk
Aus Anlass der diesjährigen Biofachmesse in Nürnberg hat BAYERN2 ein großes Interview mit Helmy Abouleish gemacht – unbedingt anhörenswert:
https://www.br.de/…/ein…/helmy-abouleish-farmer-100.html
Erfolgreiche HU-Absolventen mit österreichischem Praktikum
Die Heliopolis Universität stellt erfolgreiche Absolventen vor: https://www.facebook.com/239983959429845/posts/5888723401222511/
Gámàl Hékàl hat während seines Studiums über unsere Vermittlung mehrfache Praktika in Österreich gemacht und wir freuen uns über seinen beruflichen Erfolg. Wir gratulieren ihm sehr herzlich mit zwei Erinnerungsfotos aus 2018!
Sopranistin Fatma Said
Kennt ihr Fatma Said فاطمة سعيد, eine ägyptische Sopranistin, die in Berlin lebt? Sie ist ein musikalisches Ausnahmetalent. 🎤 🎼 Aufgewachsen in Kairo, Besuch der Deutschen Schule und später Studium des Gesangs in Berlin und Mailand. Zudem ist sie für ihr soziales Engagement bekannt. Von ihr wird man definitiv noch einiges hören!
Hier eine kleine Kostprobe ihres Könnens
https://www.youtube.com/watch?v=IjlFE8jxjCo
#klassischemusik #Ägypten #kulturaustausch
Buchtipp-Reminder
Das neue Buch von Helmy ABOULEISH „Sekem als Inspiration und Vorbild“ ist hier erhältlich: https://info3-verlag.de/buch…/buecher/sekem-inspirationen/
Bis bald!
Euer/Ihr Redaktionsteam von SEKEM-Österreich