Die Internationale Klasse und Distance Learning
Ein Situationsbericht – samt aktuellen wissenschaftlichen Hinweisen!
SEKEM-Österreich und die pädagogische Konferenz der Internationalen Klasse haben es ja relativ leicht, ihre Beratungen während des Corona-Lockdowns online abzuwickeln. Aber wie geht es den Lehrerinnen und den SchülerInnen?? Zu diesem Thema gibt es nun einen Bericht – wenig überraschend ohne die gewohnten Fotos der Klasse! Aber allein durch die Lektüre dieses Textbeitrags gewinnen wir einen fundierten Einblick in den pädagogischen Alltag der Klasse:
Die internationale Klasse der FWS Graz besteht aus einer sehr heterogenen Gruppe von jungen Männern und einer jungen Frau. Sowohl die Deutschkenntnisse als auch das allgemeine Bildungsniveau driften stark auseinander. Es handelt sich also um eine vielseitige Gruppe von Menschen mit gemeinsamen Erfahrungen von Flucht, Einsamkeit und Fremdheit. Nimmt man die wesentlichen Ansätze der Waldorfpädagogik ernst, so ist die den Lehrer*innen zufallende Aufgabe jene, das menschliche und als solches auch geistige Individuum in seiner Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen. Eine Aufgabe, die zu bewältigen durch bestehende Sprachbarrieren erschwert wird und doch zumindest zeitweise Früchte zu tragen scheint. So seltsam es vielleicht klingen mag, ist der erste Schritt zur Individualisierung der einzelnen Schüler*innen, die Suche nach dem Gemeinsamen. Das, was immer und an allen Orten der Welt verbindend wirkt, der Humor! All diese Schüler*innen haben sich trotz ihrer traumatischen Erfahrungen das Lachen bewahren können und dieses Lachen ist verbindend und zugleich zutiefst persönlich und individuell. Durch unseren Humor können wir alles reflektieren ohne zu zerstören und zu verletzen, über diese Brücke treten wir ins persönliche Gespräch und auch in die fachliche Auseinandersetzung mit Deutsch, Geschichte oder politischer Bildung. Es sind bereichernde Gespräche für alle Beteiligten. Nun ist diese Gemeinsamkeit durch die Schulschließung sehr erschwert worden. Das Arbeiten mit einer Lernplattform ist für unsere Schüler*innen völliges Neuland, die digitale Ausstattung, die den Schüler*innen zur Verfügung steht, ist rudimentär und die individuelle Betreuung kaum mehr möglich. Rhythmus und persönliche Ansprache fehlt nun völlig. Die meisten Schüler*innen können nur über ihr Mobiltelefon auf die Lernplattform zugreifen, die Internetverbindung ist oft schlecht und der eigene Arbeitsplatz sowie die Unterstützung zuhause sind nicht vorhanden. Wir versuchen nun das Beste aus der Situation zu machen: Zusätzliche Informationen über Whatsapp, Sprachnachrichten, Videonachrichten und das gemeinsame Lesen ersetzen nun den persönlichen Kontakt. Viele unserer Schüler*innen sind kaum erreichbar, andere nehmen das Angebot dankbar an, aber auch sie sind durch ihre Lebensbedingungen eingeschränkt. Deutlich wird an dieser Situation einiges: unsere Schüler*innen brauchen dringend auch digitale Grundbildung, sie brauchen (bessere) Geräte und einen Arbeitsplatz. Wenn wir für die Waldorfpädagogik so Wesentliches wie Rhythmus und Eigenständigkeit in der gegenwärtigen Welt anlegen wollen, sind wir aufgerufen kreativ, ja innovativ zu sein – und wir brauchen die Hilfe von öffentlicher Hand, um zumindest ein Minimum an geeignetem Unterrichtsmaterial zur Verfügung stellen zu können! Bis dahin freuen wir uns über jede weitere Unterstützung!
Hannah Jordis (Klassenlehrerin)
Wir danken sehr für diesen Bericht, der drastisch die eklatante Diskrepanz zwischen dem Schulalltag und wissenschaftlich begründeten Forderungen offenlegt! Gerade in diesen Tagen wurde nämlich über die Arbeit eines Forschungsteams der Universität Wien in einem Bericht folgendes geschrieben: In einem Policy Brief haben die Wiener Wissenschafter Empfehlungen vorgelegt, wie man Schüler mit Migrationshintergrund während der Coronakrise besser unterstützen kann. Bei Bedarf sollen den benachteiligten Schülern etwa nicht nur Laptops, Tablets und Internetzugang zur Verfügung gestellt werden. Es brauche auch Angebote wie einen ruhigen Platz zum Lernen, Unterstützung durch andere Schüler, regelmäßige Treffen oder Sprachförderangebote.
Was die öffentliche Hand zu tun hätte, liegt also wissenschaftlich begründet auf dem Tisch. Leider ist allerdings die Internationale Klasse seit über zwei Jahren ohne jegliche öffentliche Förderung – und wir sind sehr dankbar, dass ausschließlich durch die Hilfe aus der Zivilgesellschaft die Finanzierung dieses wertvolle flüchtlingspädagogischen Projekts bisher gelang – wir hoffen sehr auf weitere Hilfe!
Graz, 22. 11. 2020, Hermann Becke, für das pädagogische Team und den Verein
Spendenkonto des Vereins: Bank für Kärnten und Steiermark, IBAN: AT17 1700 0001 8100 0341, BIC: BFKKAT2K